Wilde Mischung: die Hauptstadt Bukarest
„Womit beginnt man, eine unbekannte Stadt vorzustellen?“ könnte – in Analogie zum Einstieg in diesen Blog vor über sechs Jahren – eine Annäherung an Bukarest (rumänisch: București) versucht werden. Auf dem klassischen Weg über ihre Geschichte, chronologisch und somit, vielleicht vermeintlich, logisch? Oder über ihre komplexe Gegenwart einer unordentlichen Mixtur aus den Relikten und Folgen dieser Geschichte? Eines ist die Stadt sicher nicht: ein leicht einzuordnendes Ziel, das sich bequem erfassen lässt.
Ihre Brüche sind der Hauptstadt deutlicher anzusehen – und auch deutlicher spürbar – als anderen Kapitalen. Bukarest ist mit etwa 1,8 Millionen Einwohnern die größte Metropole Rumäniens und siebtgrößte Stadt der Europäischen Union. Sie ist Hauptstadt eines Landes zwischen topografischen Zonen, eines Staates im Übergangsbereich zwischen Mittel- und Südosteuropa, am östlichen Rand der EU. Befragt man Google mittels ihres bloßen Namens, taucht in der Liste der ungefragt aufgelisteten Ähnlichen Fragen als die erste „Ist es gefährlich in Bukarest?“ auf. Bei keiner anderen Hauptstadt ist das der Fall. Bei jenen beziehen sich die priorisierten Fragestellungen eher auf Schönheit, Sehenswürdigkeiten oder die Liebe. Letztere wird bekannterweise gerne in Paris vermutet. In den 1930er Jahren orientierten sich die Bukarester Architektur und Stadtplanung stark an der pariserischen, was zum Beinamen Micul Paris (deutsch: Kleines Paris) oder Paris des Ostens führte. Großzügige Boulevards und neobarocke Gebäude verströmten französische Eleganz, welche in den 1940er Jahren im modernen internationalen Stil fortgesetzt wurde. Mit der Diktatur Nicolae Ceausescus von 1965 bis 1989 kam es nicht nur zu einem politischen Schnitt in die Geschichte des Staates und seiner Hauptstadt, dieser manifestierte sich auch sichtbar in der Architektur. Eleganz war nicht mehr gefragt, Protzigkeit im stalinistischen Zuckerbäckerstil setzte sich durch. Beides ist heute in der Stadt zu sehen, teils verblichen, dennoch massiv präsent. Ergänzt wird die krude Mischung durch die obligatorischen Wohnblöcke in Form von Plattenbausiedlungen. Natürlich lässt sich die Stadt nicht auf die benannten architektonischen Gegenpole, und deren Aussagen, reduzieren. Doch in București mischt sich das alte Europa auf besonders plastische Weise mit den Relikten sozialistischer Gigantomanie, welche im Parlamentspalast (rumänisch: Palatul Parlamentului), dem schwersten Gebäude der Welt, gipfelt. Früher wurde der Palast als Haus des Volkes (rumänisch: Casa Poporului) bezeichnet, errichtet wurde er von 1983 bis 1989 nach den Vorstellungen Ceausescus. Dann gibt es noch die vielspurigen Megastraßen wie den Bulevardul Magheru voller endlos hupender Autos im Stau, verlassene Villen inmitten wuchernder Gärten und die Möglichkeit sich in einem undurchschaubaren Gewirr kleiner Straßen zu verlaufen. Die krassen Gegensätze zeigen sich nicht nur in den gebauten Hinterlassenschaften der Vergangenheit. In der Gegenwart existieren von Luxusautoinhabern frequentierte internationale Boutiquen in der gleichen Stadt wie Elendsviertel, die in erster Linie von Roma bewohnt werden. Der Legende nach wurde Bukarest von einem Hirten namens Bucur gegründet, heute ein weit verbreitender Familienname. Bucurie bezeichnet im Rumänischen Freude. Bukarest wird 1459 erstmals per Urkunde erwähnt. Ausgestellt wurde diese vom Woiwoden Vlad Țepeș, Beiname Drăculea. Es wird spannend werden, die wilde Mischung der Hauptstadt kennenzulernen.