Streifzug durch die Kultur: Temeswar heute
Durchstreift man Temeswar (rumänisch: Timișoara) als interessierter Tourist, spürt und sieht man die Wirkung eines seit einigen Jahrzehnten anhaltenden Aufwärtstrends. Zugleich stellt, neben vielem anderen, die Sicherung des baukulturellen Erbes noch immer eine Herausforderung dar. Im Zuge der Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas liefen umfangreiche Sanierungsmaßnahmen an. Mitte September 2016 erhielt Timișoara den Zuschlag.
Das Innenstadtbild der nach Bukarest und Klausenburg drittgrößten Stadt Rumäniens ist geprägt von etwa 15.000 historischen Gebäuden. Lange gehörte Temeswar zu Österreich-Ungarn, was der Stadt den Namen „Klein-Wien“ bescherte, denn die Bauten aus jener Zeit erinnern stark an das alte Wien. Nicht wenige von ihnen leuchten im berühmten Schönbrunner Gelb, der traditionellen Farbe der österreichischen Repräsentationsarchitektur, bezeichnenderweise auch Kaisergelb genannt. Zum Flanieren lädt ein breiter Boulevard mit Geschäften und Straßencafés in großbürgerlichen Wohnpalais ein, welcher am heutigen Stadtzentrum, der Piața Victoriei, beginnt. Die Anfang des 20. Jahrhunderts erbauten Palais tragen klangvolle Namen wie Palais Hilt & Vogel oder Palais Lloyd und fusionieren architektonische Elemente verschiedener Epochen. Barock meets Jugendstil. An der Piața Victoriei befinden sich auch Nationaltheater und Opernhaus, welche das Deutsche Staatstheater, das Ungarischen Staatstheater Csik Geregely und das rumänische Teatrul Național Mihai Eminescu beherbergen. Im Deutschen Staatstheater sind seit der Wiedereröffnung 1953 ausschließlich Stücke in deutscher Sprache zu sehen. Schlendert man durch die Fußgängerzone, kommt es zur Begegnung mit einer Bronzefigur der Romulus und Remus säugenden Wölfin. Die exakte Nachbildung der Lupa Capitolina ist ein Geschenk der Stadt Rom als Zeichen der gemeinsamen romanischen Wurzeln des italienischen und rumänischen Volkes. Rund um den Domplatz, die Piața Unirii, ist der alte Festungskern der Stadt (Cetate) zu sehen sowie der Dom und weitere Baudenkmäler, darunter zahlreiche Kirchen und Palais. An der Piața Libertății befindet sich das Alte Rathaus (Primăria Veche). Auch dessen Architekt griff zum Stilmix, indem er Elemente des Barock und der Renaissance verband.
Neben vielen Plätzen gibt es in Temeswar auch eine bemerkenswerte Anzahl an Parkanlagen und Rosengärten. Einen davon besuchte Ioan Holender, 1935 in Timișoara geboren, im letzten Jahr mit einer Journalistin des Wiener Kurier. Als Teilnehmer am Studentenaufstand in Temeswar 1956 wurde der spätere Sänger und Künstleragent exmatrikuliert, konnte aber 1959 nach Wien ausreisen, wo er von 1992 bis 2010 Direktor der Wiener Staatsoper war. Im November 2011 wurde Ioan Holender zum Ehrenpräsidenten des Vereins Timişoara Capitală Culturală Europeană gewählt, welcher die Wahl Temeswars zur Kulturhauptstadt Europas zum Ziel hatte. Zunächst mussten die Voraussetzungen zur Erfüllung der EU-Kriterien geschaffen werden. 2012 begann man mit der Sanierung der Altstadt, womit der gesamte Stadtkern zur Großbaustelle wurde. Inzwischen ist einiges geschafft. Mitte September 2016 erhielt Timişoara den Zuschlag und wird Kulturhauptstadt Europas 2021.