Superwahljahr 2024: Präsidentschaftswahlen
Als einen Mann aus dem Nichts könnte man Călin Georgescu bezeichnen, richtet man den Blick nur auf tradierte Formen des Wahlkampfes. In den Prognosen vor der Wahl tauchte er lediglich als partei- und chancenloser Kandidat in der Reihe der rumänischen Präsidentschaftskandidaten auf. Der Mann, der keine Wahlplakate drucken ließ, war stattdessen in den sozialen Medien unterwegs, erlangte in der ersten Wahlrunde auf Anhieb 22,9 Prozent der Stimmen – und ist rechtsextrem, ultranationalistisch, anti-europäisch ...
Nachdem der vermeintlich unabhängige Außenseiter Călin Georgescu in der ersten Runde der rumänischen Präsidentschaftswahlen am 24. November 2024 die meisten Stimmen aller Kandidaten erhielt und am 08. Dezember per Stichwahl gegen die mit 19,2 Prozent der Stimmen Zweitplatzierte liberale Elena Lasconi, USR (Uniunea Salvați România, deutsch: Union Rettet Rumänien) antreten soll(te), überschlagen sich die Meldungen zur aktuellen politischen Lage in Rumänien. Vor wenigen Minuten, während des Schreibens dieses Beitrages, erscheint eine Eilmeldung, die den Inhalt des vorhergehenden Satzes nivelliert: Das rumänische Verfassungsgericht, oberstes Gericht des Landes, hat kurz vor der Stichwahl entschieden, dass die Präsidentschaftswahlen vollständig wiederholt werden müssen. Begründet wird die Entscheidung mit Erkenntnissen des rumänischen Geheimdienstes. Rumänien sei Ziel eines aggressiven russischen hybriden Angriffs geworden. Russland habe den Wahlkampf des rechtsextremen und pro-russischen Präsidentschaftskandidaten Călin Georgescu auf der Social Media Plattform TikTok über manipulative Praktiken massiv und letztlich entscheidend gefördert. Durch koordinierte Konten, bezahlte Werbung und Empfehlungsalgorithmen. Bereits Tage zuvor hatten die obersten Richter eine Neuauszählung der Stimmen vom 24. November angeordnet. Vorausgegangen waren Anträge zweier unterlegener Kandidaten, die Wahl sei zu annullieren, da Georgescu die Finanzquellen für seinen Wahlkampf nicht offengelegt und zudem Geld aus dem Ausland erhalten habe. Nachdem die erneute Auszählung erfolgt war, war die Wahl jedoch zunächst anerkannt worden, bis nun die Enthüllungen des Geheimdienstes vorlagen. Laut Verfassungsgericht muss jetzt die rumänische Regierung einen Termin für erneute Wahlen festlegen. Auch für TikTok, das vom chinesischen Unternehmen ByteDance betriebene Videoportal, haben die Ereignisse Konsequenzen. So ordnete die EU-Kommission aus Brüssel an, dass Nutzerdaten bis auf Weiteres gespeichert werden müssen, um Ermittlungen zur vermuteten Manipulation der rumänischen Präsidentschaftswahlen zu ermöglichen. Zu diesem Zweck wurde eine sogenannte Zurückbehaltungsverfügung erlassen. Interne Informationen sollen Aufschluss darüber geben, ob bezahlte Werbung verbotenerweise für politische Inhalte genutzt wurde – und von wem. Details zu Algorithmen lassen wiederum erkennen, welche Nutzerinnen und Nutzer welche Videos und Profile weiterempfohlen haben. Es wird von einer möglichen russischen Einmischung zugunsten des offen pro-russischen Kandidaten Călin Georgescu ausgegangen. Sowohl Georgescu als auch Elena Lasconi äußerten scharfe Kritik an der Annullierung der Wahl. Lasconi bezichtigte das Verfassungsgericht, es würde die Demokratie mit Füßen treten, Georgescu spricht von einem Staatsstreich.