Dunkler Zwilling: Vom Wohnhaus zum Museum I
Ana Pauker war als erste Frau Rumäniens und der Welt Außenministerin. Erwin Kessler ist zeitgenössischer Kunsthistoriker und Kurator. Roger El Akoury und Youssef Tohme kennen sich seit ihrer Schulzeit im Libanon und realisierten gemeinsam ein Projekt, das einen hoch spannenden Umgang mit dem architektonischen Erbe der kommunistischen Ära Rumäniens zeigt.
Zurück von der Schwarzmeerküste im Bukarester Frühlingsviertel. Nur etwa 200 Meter von Ceaușescus Privatvilla im Cartierul Primăverii, in welcher heute Touristen Privatluft des Diktators schnuppern, befindet sich ein Gebäude, das über dessen bloße Musealisierung oder Umnutzung weit hinausgeht: ein dunkler Zwilling, der sowohl architektonisch als auch inhaltlich etwas Neues schafft, das Vorherige aber dennoch nicht nur erahnen lässt und zugleich ein innovatives Innenleben beheimatet. Was heißt das und wie kam es dazu? Zunächst einmal stand an der Kreuzung der Strada Helesteului mit dem Bulevardul Primāverii ein 1939 vom rumänischen Architekten Oktav Doicescu erbautes Wohnhaus. 1947 wurde Ana Pauker, Kommunistin und Stalinistin, rumänische Außenministerin und damit erste Frau der Welt in dieser Position. Im folgenden Jahr beschlagnahmte die Kommunistische Partei Rumäniens das Haus, Pauker zog ein. Die politische Karriere Madame Stalins, wie sie auch genannt wurde, kippte jedoch 1952 unerwartet schnell ins Gegenteil. Von Staatsoberhaupt Gheorghiu-Dej entmachtet, stand sie nach einem kurzen Gefängnisaufenthalt bis 1960 unter Hausarrest, ihr Wohnhaus wurde zum Privatgefängnis. In den folgenden Jahrzehnten stand das Gebäude häufig leer und verfiel zunehmend, bis es 2007 von Roger El Akoury gekauft wurde. Akoury kam in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts aus dem Libanon nach Bukarest, um dort seine Geschäftsideen umsetzen zu können. Das gelang ihm mit großem Erfolg. Die von ihm mitbegründete Apothekenkette betreibt heute hunderte von Filialen in ganz Rumänien. Nachdem er seine Anteile verkauft hatte, folgte er seinem Interesse an junger Kunst noch intensiver als zuvor. Schon im Libanon hatte er zeitgenössische Kunst unterstützt und gesammelt, war Mitbegründer des KA Modern and Contemporary Art Space in Beirut. 2012 kaufte er sein erstes rumänisches Kunstwerk. Mit dem Aufbau seiner Sammlung wuchs der Wunsch, diese der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Youssef Tohme ist wie Roger El Akoury im Libanon geboren, die beiden sind seit ihrer Schulzeit befreundet. 2008 gründen sie in Beirut das Architekturbüro Youssef Tohme Architects, wobei Akoury auf der Unternehmenswebsite auch als Entrepreneur vorgestellt wird. Tohme hatte zuvor in Paris Architektur studiert und dort in verschiedenen Büros gearbeitet, unter anderem im Atelier des Pritzker-Preisträgers Jean Nouvel. Mittlerweile zählt er im Libanon zu den bedeutendsten Architekten. Da die ehemalige Villa Ana Paukers nun Akoury gehört, er Partner in Thomes Architekturbüro ist und einen dauerhaften Ausstellungsort für seine Sammlung jüngerer rumänischer Kunst einrichten möchte, liegt es nahe, das Projekt gemeinsam anzugehen. Zunächst denken beide über einen entsprechenden Umbau des Gebäudes nach. Die obligatorischen Prüfungen der Bausubstanz ergeben jedoch, dass diese inzwischen zu schlecht ist und somit nur ein Abriss infrage kommt. Was zunächst wie eine Auslöschung historisch beladener Architektur erscheint, wird sich durch die kongeniale Idee des Neubaus als genaues Gegenteil davon erweisen.