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Rumänien-Blog


Beim Herrscher zuhause: Der Frühlingspalast

Primăverii heißt ein an den König-Michael-I-von-Rumänien-Park angrenzendes Stadtviertel Bukarests. Am 22.12.1989 stürmten dort Aufständische eine Villa, die ein Paar, das darin seit Mitte der 1960er Jahre wohnte, eilig verlassen hatte. Goldene Wasserhähne, Kronleuchter, Pelzmäntel sowie ein Schwimmbad und ein Kino finden sie in den wohlbeheizten 80 Räumen vor, während die Bevölkerung friert und hungert. Der Hauseigentümer und seine Frau sind per Hubschrauber auf der Flucht.

Frühlingsviertel heißt das Cartierul Primăverii im Norden der Hauptstadt auf Deutsch. In Bukarest ist es ein traditionelles Bonzenviertel. Der Begriff Bonze stammt aus dem Japanischen und bezeichnete ursprünglich einen Mönch oder Priester. Während der Aufklärung im 18. Jahrhundert erlangte er eine abwertende Konnotation im Sinne eines bigotten Priesters, welche sich dann zunehmend in Richtung einer politischen Bedeutungsebene entwickelte und korrupte Parteifunktionäre bezeichnete. Ein Parteibonze par excellence war Nicolae Ceaușescu, Generalsekretär der Rumänischen Kommunistischen Partei, Vorsitzender des Staatsrates, Staatspräsident und von 1965 bis 1989 Diktator der Sozialistischen Republik Rumänien. Mit seinem Aufstieg zum Generalsekretär erfolgte der Umzug der Familie Ceaușescu ins abgeriegelte Frühlings-und Bonzenviertel. Entworfen wurde die Luxusresidenz Casa Ceaușescu vom Architekten Aron Solari Grimberg. Die Gestaltung des riesigen Gartenareals, durch das Pfauen spazierten, übernahm Robert Woll, der auch für den Großteil der Inneneinrichtung verantwortlich war. Nachdem Ceaușescu Staatspräsident geworden war, wurde der Palatul Primăverii (deutsch: Frühlingspalast) erweitert. Auf Elena Ceaușescus Initiative hin sollen Sauna, Swimmingpool und Solarium eingebaut worden sein, auf Wunsch des Autokraten ein Kinosaal, in dem sich dieser angeblich mit Vorliebe Western oder Filme mit Sylvester Stallone ansah. Abgesehen von der opulenten Ausstattung, deren Beschreibung den Rahmen sprengen würde, sammelten sich mit der Zeit zahlreiche Staatsgeschenke an, auch die Pfauen im Garten gehörten dazu. Ceaușescu war keinesfalls ein international geächteter Herrscher, wie man rückblickend fälschlicherweise annehmen könnte. Beispielsweise erhielt er 1971 die höchste von der damaligen BRD für Staatsoberhäupter zu vergebende Auszeichnung, die Sonderstufe des Großkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Der Diktator, der nach außen hin propagierte, er brauche keinen Luxus, ließ niemanden in seine Gemächer voller Protz und Prunk blicken. Staatsgäste wurden andernorts empfangen, bis auf Präsident Richard Nixon, der aber nicht weiter als bis in die Empfangshalle kam, um seinen Tee zu trinken. So waren die Aufständischen vom 22. Dezember 1989 die ersten, die den Luxus hinter der Fassade zu Gesicht bekamen. Zu einer Zeit, in der für die Bevölkerung Strom und Wärme auf zwei Stunden täglich begrenzt waren und Lebensmittel rationiert ausgegeben wurden. Das Bild, das sich ihnen bot, bietet sich heute Besuchern und Besucherinnen, die zahlreich zu Führungen in die Villa strömen. Die Faszination für die Besichtigung der Wohnstätten von ehemaligen Herrschern ist ein lukratives touristisches Phänomen, das sich bestens kommerziell nutzen lässt. Der Ticketverkauf spielt jährlich hohe Summen ein. Zudem wurden zwei Drittel des millionenschweren Grundstücks an Investoren verkauft und Objekte aus dem Nachlass versteigert. Bei den Führungen durch das Haus ist dies kein Thema.

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